Sadomasochismus bzw. BDSM ist in den letzten Monaten in Deutschland in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Ausgelöst durch die Trilogie von „Shades of grey“, welche bisher rund 6 Mio. verkauft wurde. Steckt in uns Allen ein wenig Sado-Maso?
Kategorien: Sadomasochismus
Unser Bild von Sexualität ist immer auch gesellschaftlich und kulturell beeinflusst. Was uns sexuell erlaubt ist und was nicht, worüber wir sprechen dürfen und worüber nicht, was als normal und was als abnorm gilt, was für Männer und Frauen sexuell erstrebenswert scheint, ist abhängig von gesellschaftlichen Konventionen und kulturellen Werthaltungen.
Während Beate Rotermund-Uhse Ende der 60er Jahre für den Vertrieb von Reizpräservativen noch eines Vergehens nach Paragraph 184 StGB wegen der Anpreisung “zu unzüchtigem Gebrauche bestimmter Gegenstände” schuldig gesprochen wurde, finden sich heute fast in jeder Duschgel-Werbung anstößigere Aufforderungen und Bilder. Gerade einmal 50 Jahre ist es her, dass die Pionierin in Flensburg mit ihrem „Fachgeschäft für Ehehygiene“ den ersten Sexshop der Welt eröffnet hatte. Heute findet sich in fast jeder größeren Stadt mindestens ein SM-Shop oder SM-Club, der zur Erweiterung der persönlichen und partnerschaftlichen Spielarten einlädt. Das Versprechen sexueller Befriedigung ist zur Marketingstrategie geworden.
Sicherlich ermöglicht der „sexuelle“ Zeitgeist erst diese begeisterte und breite Aufnahme der Shades of Grey Trilogie; wer das Buch gelesen hat, wird uns gewiss zustimmen, dass die SM-Thematik das Buch zum Kassenschlager machte und nicht etwa der sehr einfache Stil der Erzählung. Der 1954 erstmals veröffentlichte erotische Roman „Geschichte der O“ widmete sich dem Thema in sehr ähnlicher Weise und galt mit seiner detaillierten Darstellung von weiblicher Unterwerfung hingegen als Skandalbuch.
Heute ist ein Bekenntnis zu den eigenen sog. „dunklen Seiten und geheimen Sehnsüchten“ möglich und gesellschaftlich erlaubt.
Offen bleibt, ob plötzlich im Schutze des öffentlichen Interesses sich Millionen Deutsche zum Sadomasochismus bekennen oder ob die Shades of Grey Trilogie erst dazu angeregt hat, diesen Pfad sexueller Spielarten zu eröffnen?
Psychologisch ist anzumerken: SM ist für uns nicht nur eine sexuelle Praktik, sondern darüber hinaus Ausdruck verdeckter und verdrängter menschlicher Sehnsüchte und Fantasien. Statt sich lediglich auf sadomasochistische Praktiken und Spielarten zu fokussieren lohnt es vielmehr, sich der Essenz sadomasochistischer Vorstellungen und Sehnsüchte bewusst zu werden.
Sadomasochistische wie auch andere sexuelle Fantasien nutzen wir in der sexualtherapeutischen Praxis als einen Hinweis auf Seiten in uns, die häufig tabuisiert sind und die im Alltag keinen oder zu wenig Platz finden.
Die Funktion dieser Fantasien, ebenso wie die Funktion von Träumen ist, das seelisches Gleichgewicht (wieder) herzustellen –sie balancieren uns quasi zwischen Ideal und Schatten, zwischen Anspruch und Selbstbild, aus.
Kaum eine sexuelle Fantasie, die Menschen wirklich bewegt und erotisch-sexuell anregt, kommt ohne die Dynamik Macht-Ohnmacht, Hingabe-Unterwerfung, oben-unten oder Nehmen und Genommen werden, aus. Themen wie Missbrauch und Unterwerfung, finden sich in den meisten „heimlichen“ Fantasien von Männern und Frauen und nur sehr selten taucht das romantische Ideal einer sexuellen Liebe auf „Augenhöhe“ in Masturbationsfantasien auf.
Für uns geht es darum, die Angst vor diesen Wünschen und Sehnsüchten zu verlieren und so den Schatz der zumeist als „dunkel“ geltenden Aspekte zu heben. Dies kann die persönliche und partnerschaftliche Entfaltung enorm fördern.
Ans Tageslicht der bewussten Betrachtung gezogen, verlieren diese Fantasien an Dramatik und Einfluss – unbewusst wirksam hingegen bestimmen sie häufig den Alltag vieler Paare und Einzelpersonen. So führen viele Menschen sadomasochistische Beziehungen, ohne sich darüber bewusst zu sein.