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Beziehungsdynamische Sexualtherapie – Grundlagen

Nachfolgender Artikel wurde Mitte 2015 in der Sein veröffentlicht.

Sexualtherapie fördert die persönliche Entwicklung

 

Sexualtherapie gilt häufig immer noch als therapeutische Nischendisziplin; als notwendiges Mittel, welches man in Anspruch nehmen sollte, wenn das, was eigentlich funktionieren sollte nicht mehr funktioniert. Für viele zielt Sexualtherapie lediglich darauf ab, die „normale Funktion“ wieder herzustellen. Für uns am Berliner Institut ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität Möglichkeit zur persönlichen, spirituellen und partnerschaftlichen Entwicklung.

Unter dem Dach unseres Instituts arbeiten vier befreundete Therapeut*innen seit 2006 im Bereich Sexualtherapie, Paartherapie und Psychotherapie zusammen. Unsere Arbeit basiert auf langjähriger Selbsterfahrung – unsere Konzepte haben wir in Auseinandersetzung mit den eigenen Themen entwickelt und geschliffen. Entstanden ist die Beziehungsdynamische Paar- und Sexualtherapie,  ein Ansatz, der tiefenpsychologische und systemische Konzepte mit körpertherapeutischen, hypnotherapeutischen und gestaltpsychologischen Methoden umsetzt. Ziel ist persönliche, partnerschaftliche und spirituelle Entwicklung. Im Fokus unserer Arbeit steht die Beziehungsfähigkeit – unabhängig davon, ob uns Frauen, Männer, Singles, hetero- oder homosexuelle Paare aufsuchen.

 

Die Angst vor der Sexualität

Immer mehr Frauen und Männer, ob in langjährigen Beziehungen oder Singles, klagen darüber, sexuell unbefriedigt zu sein und/ oder sich als sexuell unzulänglich zu erleben. Auch emotionale Tiefe zeigt sich nicht immer als Schutz vor einer „sexuellen Störung“ oder dem Verlust der sexuellen Leidenschaft in einer Beziehung. Und wer selbst einmal an entsprechenden Problemen gelitten hat, weiß um die Hilflosigkeit, die in den meisten therapeutischen Schulen der Sexualität gegenüber vorherrscht.

Viele Klienten finden den Weg in unser Institut, die sich nach jahrelanger Psychotherapie der Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität nähern und dann überwiesen werden, weil fundiert ausgebildete Therapeut*innen an ihre Grenzen kommen. Vielleicht auch, weil sie eben bisher keine Haltung sexuellen Themen gegenüber entwickelt haben oder auch, weil sie selbst zu sehr berührt sind und befürchten, sich die „Finger zu verbrennen“.

Demgegenüber steigt die Zahl der Ratgeberbücher, die schnelle Tipps für ein optimiertes Sexualleben verkaufen. Fast jeden Tag bekommen wir Einladungen zu Seminaren und Gruppen, die neue Zugänge versprechen, um das Sexualleben mit oder ohne Partner zu verbessern. Fast wöchentlich neue Trends und Methoden – die Frage jedoch ist, ob die neue Life-Style-Sex-Welle tatsächlich dort Lösungen bietet, wo das menschliche Leiden am größten ist: Im Bereich zwischenmenschlicher Intimität und Sexualität, der Möglichkeit also, sich mit einem anderen Menschen zu verbinden, sich geliebt zu fühlen und zu lieben, in Beziehung zu treten und mit einem anderen Menschen erfüllende Zweisamkeit zu erfahren.

 

Sex ist nicht immer Sex

Die persönliche oder partnerschaftliche Sexualität ist Auffangbecken aller möglichen Regungen, Vorstellungen und Motive – die zumeist dem Bewusstsein nur schwer zugänglich sind.

Unserer Erfahrung nach geht es in den seltensten Fällen darum, „Liebe zu machen“ oder dem anderen in Intimität seelisch zu begegnen. Die meisten Frauen und Männer suchen nach Anerkennung, nach Bestätigung, wollen sich am Anderen abarbeiten, sich spüren oder auch nicht mehr spüren, sich manchmal sogar selbst zerstören, in den „Keller ziehen“ oder am auch anderen rächen. All dies ist weder „richtig“ oder „falsch“, noch „normal“ oder „abnormal“ – diese zumeist tabuisierten Beweggründe beeinflussen allerdings maßgeblich Glück und Unglück in Beziehungen.

Sex ist das Spiel zwischen den Körpern, dass ausschließlich durch unsere Beziehung zu uns selbst und zum Partner/ zur Partnerin zum tiefen, berührenden Ereignis werden kann. Die Beziehung ist entscheiden und so kann die gleiche körperliche Praktik bei anderer innerer Haltung der Partner in Demütigung und Verachtung enden.

Manche Frauen und Männer haben kaum eine Beziehung zur eigenen Sexualität und suchen unsere Hilfe auf, um Schlimmeres zu verhindern, weil beispielsweise der Partner mit dem Beziehungsende droht, wenn nicht endlich wieder Leben im Ehebett einzieht. Oder auch, wenn die Erektion wegbleibt und die Partnerin zunehmend emotionaler auf eine Lösung drängt oder auch wenn der Sex partout nicht erfüllend wird, obwohl man anscheinend über alles gesprochen hat und alle gegenseitigen Bedürfnisse thematisiert worden sind. Oder auch, wenn eine plötzlich auftauchende Affäre die Grundfesten der langjährigen Partnerschaft ins Wanken bringt.

 

Auch im Bett kann man nicht nicht kommunizieren

Auch wenn von einigen Therapeuten oder auch Schulen proklamiert – für uns gibt es keine Trennung zwischen Paar- und Sexualtherapie. Und auch keine Trennung zwischen Sexualtherapie und Psychotherapie. Eine Psyche, die sich nicht verbinden kann, kann auch nicht gesund sein und eine Partnerschaft, in der es an Intimität mangelt, ist in der Regel für die Partner nicht erfüllend. Menschen sehnen sich nach Verbindung und Einheit und diese zu erleben erfüllt sie mit Zufriedenheit und Kraft.

Viele Ratgeber empfehlen, bei mangelndem oder nicht erfüllendem Sex einfach mehr zu kommunizieren. Wir halten die Wirksamkeit dieser Methode für relativ begrenzt. Würde Reden helfen, dann ist doch die Frage, warum unsere ansonsten in der Regel sehr intelligenten und eloquenten Klient*innen sich nicht bereits zusammengesetzt haben, um Lösungen auszuhandeln. Schlechter oder mangelnder Sex ist für uns nicht durch wertschätzende Kommunikation zu verbessern. Schlechter oder mangelnder Sex ist die Kommunikation zwischen den Partnern!

Wenn ein Mann beispielsweise der Vorstellung unterliegt, es seiner Frau niemals recht machen zu können, dann wird sich diese Vorstellung auch im sexuellen Spiel mit der Partnerin/ dem Partner zeigen.

In der Sexualität zeigen sich die Muster der Beziehung, Sex ist das Symptom der Beziehung. Daher teilen wir die Vorstellung nicht, dass Sex eine Art Verhalten ist, welches man optimieren und durch neuste Techniken trainieren kann. Sexualität ist ein Prozess beständiger Kommunikation zwischen den Liebespartnern. Und gerade hier, d.h. im Bett, zeigt sich in den meisten Beziehungen ein wichtiger Teil der Wahrheit und keine Fehlfunktion.

 

Von der sexuellen Funktionsstörung zur Funktion der sexuellen Störung

Sexuelle Probleme werden leider gerne noch als „sexuelle Funktionsstörungen“ bezeichnet. Damit wird angenommen, dass es eine eigentliche, normale Funktion gibt, die gestört ist.

Was aber, wenn die sexuelle Problematik eine Botschaft an den Partner oder an den darunter Leidenden ist? Was wäre, wenn beispielsweise die Lustlosigkeit keine Störung der Funktion ist, sondern eine versteckte direkt zu verstehende Botschaft, dass der partnerschaftliche Sex eben nicht mehr als erregend erlebt wird?

Wäre dann die sog. sexuelle Funktionsstörung nicht die Lösung, indem sie dem Betroffenen erlaubt nicht zu funktionieren und trotzdem dem Konflikt zu entgehen, dem Partner die eigene Unzufriedenheit zu offenbaren?

 

Tabubereiche erobern

Die Kommunikation in Beziehungen und im Sexuellen ist stärker durch das beeinflusst, was wir nicht nicht auszusprechen wagen als durch das Konsensfähige. Jeder Beziehung liegt ein Vertrag zugrunde, dessen Klauseln wir stillschweigend abgestimmt haben – jede Beziehung pflegt einen Konsensbereich, der zumeist erst dann auffällt, wenn er von einem der Partner verlassen wird.

Auch folgen wir zumeist Beziehungsidealen oder idealen Frauen- oder Männerbildern, ohne dass diese uns bewusst sind. Erst bei Widersprüchen wie z.B. in Krisen, Beziehungskonflikten oder bei sexuellen Problemen beginnen wir, diese Ideale in Zweifel zu ziehen und zu überprüfen.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Viele Paare suchen unser Institut mit folgender Problembeschreibung auf:
„Wir sind ein super Team, wir lieben uns, wir verstehen uns hervorragend und haben ein kleines Problem – wir haben seit sechs Jahren keinen Sex mehr.“ Nun könnte man davon ausgehen, dass man therapeutisch hier ein leichtes Spiel hat, schließlich bewegen sich beide ja auf einer soliden, liebvollen Basis – aber für uns ist hier gerade diese „wir“ das Hindernis, das der sexuellen Leidenschaft im Wege steht.

In der Regel haben sich die Partner*innen in Beziehungen, in denen die erotische Leidenschaften eingeschlafen ist, einem bestimmten Ideal verschrieben: Gegenseitige Liebe und Achtung um jeden Preis! Nicht selten ist das Ganze dann noch spirituell-psychologisch etikettiert, indem sich die Einzelnen oder Beide beispielsweise einem Ansatz wie dem der gewaltfreien Kommunikation oder dem Tantra verschrieben haben. Mir geht es hier keinesfalls darum, diese Ansätze zu kritisieren, doch will ich festhalten:

Jedes Ideal wirft einen Schatten und so ist in Partnerschaften wie diesen meist die Aggression verschattet. Vorbehalte dem Anderen gegenüber dürfen im Hinblick auf das Ideal nicht sein, sie werden exkommuniziert, so in den Untergrund verdrängt und begegnen den Partnern dann zumeist im Bereich intimster Nähe wieder: Nämlich im Bett.

Dort herrscht dann Funkstille, obwohl sich beide angeblich so sehr bemühen, den Bedürfnissen des anderen in wertschätzender Weise gerecht zu werden. Manchmal zeigen sich uns in der Praxis grotesk anmutende Szenen: Paare, die vor uns großen Wert darauf legen, bedächtig und wertschätzend miteinander zu kommunizieren, während sie sich im Bett jahrelang nicht mehr begegnet sind und sich im Bereich körperlich-erotischer Bestätigung jegliche wertschätzende Kommunikation vorenthalten und sich gegenseitig unausgesprochen „verhungern“ lassen.

Wie sieht nun unsere Lösung aus?

Das Subversive, in den „Untergrund Verdrängte“ und damit die in der Partnerschaft tabuisierten Aspekte müssen wieder ins partnerschaftliche Bewusstsein geführt werden und kommuniziert werden.

Und warum auch nicht? Wohl nichts ist natürlicher, als den eigenen Partner von Zeit zu Zeit als komplett nervig zu erleben oder seine längst bekannten Verhaltensweisen nicht mehr ertragen zu können. Für viele Paare ist es zu Beginn eines Therapie die größte Herausforderung, den Partner/ die Partnerin mit den eigenen Schattenseiten zu konfrontieren. Mit ein wenig Übung kann dies allerdings ein kraftvoller und humorvoller Prozess sein, der zu einer tiefen und wahrhaftigen Partnerschaft führt.

Ähnliches gilt auch für Männer oder Frauen, die nicht in Partnerschaft leben und unter sexuellen Problemen leiden oder für sich selbst nach Auswegen aus langjährigem Singledasein suchen. Auch hier ist die Suche nach dem Tabuisierten zentral – auch hier muss der Tabubereich erobert werden, will man die sexuelle Lebendigkeit zurückerobern.

Das Trennende ausdrücken und dabei in Kontakt bleiben

In Beziehungen müssen wir lernen, das vermeintlich Trennende auszudrücken, auch wenn es Angst macht und Befürchtungen weckt. Nicht selten kommen Männer zu uns in Therapie, die uns erschrocken ansehen, wenn wir empfehlen, die neue Partnerin/ den neuen Partner doch vor den ersten gemeinsamen sexuellen Experimenten darüber aufzuklären, dass sie unsicher sind und häufig daraufhin auch Probleme haben, eine Erektion zu bekommen. Viele Männer erleben es als ihre größte Herausforderung überhaupt, eben diese als komplett disqualifizierend erlebte Schwäche der Geliebten kundzutun.

Manche Partner berichten in Therapie, dass sie das immer gleiche sexuelle Routine-Spiel nicht mehr ertragen können – dass sie aber vor einem Gespräch zurückschrecken, da sie angeblich den Partner nicht verletzen wollen. Wieder andere ekeln sich gerade in intimen Momenten vor dem Geliebten, fühlen sich übergangen oder unterdrückt und trauen sich nicht, dies anzusprechen oder auszudrücken. Manch einer erlebt auch die eigenen Fantasien als trennend und hält diese angstvoll zurück, so z.B. die Sehnsucht, vom eigenen Partner gefesselt oder geschlagen zu werden.

Doch gerade hier kann die Chance bestehen, dem Partner/ der Partnerin gegenüber wieder Respekt zu entwickeln. Denn gerade, wenn wir angstvoll das zurückhalten, von dem wir befürchten, dass es den anderen verletzten könnte, dann bestätigen wir in uns, dass wir den Partner für schwach und klein halten. Erst mit der Erfahrung, dass der Partner aushalten kann, was ich für absonderlich schlimm gehalten habe, kann wieder Respekt entstehen.

Emotionale Selbstständigkeit weckt Begehren

Schließlich finden wir nur den selbstständigen Partner sexuell anziehend und nicht den nach Bestätigung und Anerkennung geifernden Partner, der uns am sprichwörtlichen Rockzipfel hängt. Und allzu leicht glauben wir, uns bei andauernder Beziehung besser zu kennen und einschätzen zu können, glauben zu wissen, wo die Grenzen der Partnerin liegen und erkennen dabei häufig zu spät, dass mit zunehmender Beziehungsroutine der Raum der Beziehung immer kleiner und enger wird. Manche Partner müssen ausbrechen, um der kompletten „Eingemeindung“ zu entfliehen und sich die eigene Selbstständigkeit zu beweisen.

Der Weg in die partnerschaftliche und persönliche Lust besteht darin, die eigenen Tabubereiche zu erobern und dabei in Kontakt zu bleiben. Erst dann können wir die Erfahrung machen, dass unsere Beziehung auf einer wahrhaftigen Basis fußt und nicht auf Illusionen und Schattenaspekten.

 

In Krisen ist Öffnung möglich

Viele Menschen finden den Weg in eine Paar- oder Sexualtherapie erst in einer schweren Krise. Z.B. dann, wenn der geliebte Partner sich getrennt hat oder ein Seitensprung auffliegt, wenn Verlust droht und der Schmerz offenkundig wird. Vielen wird erst dann bewusst, dass sie über Jahre in der Beziehung Krieg geführt haben anstatt den anderen kennen- und lieben zu lernen. In Therapie versuchen wir bewusst, diesen Krisenpunkt anzusteuern oder auch zu verstärken.

Denn mal ehrlich: Ist es nicht so, dass wir manchmal erst dann schätzen können, was wir haben, wenn wir befürchten müssen, es zu verlieren?

Ebenso ist es in Beziehungen – häufig erwachen die Beziehungspartner erst dann aus dem sexuellen Tiefschlaf, wenn eine dritte Person in Gestalt einer erotischen Affäre erscheint. Vielfach zeigt sich ein Mann oder eine Frau erst dann bereit, sich mit einem sexuellen Problem zu beschäftigen, wenn der Partner/ die Partnerin mit dem Beziehungsende droht.

Doch auch eine plötzliche Liebe kann zur Krise führen: Einige Menschen kommen zu uns, weil der schlimmste Fall eingetreten ist, zu dem es hätte kommen können: Sie haben sich verliebt und sehen sich nun gezwungen, sich der eigenen Störungen anzunehmen und auf die Suche nach Veränderung zu gehen.

 

Angebote:

Die nächste zweijährige Fortbildung in Beziehungsdynamischer Sexualtherapie in Berlin finden Sie hier.

Über den Autor:

Robert A. Coordes ist Gründer und Leiter des Instituts für Beziehungsdynamik in Berlin